Museum für Kommunikation: Walkenmatt

Cover
Titel
Walkenmatt. Briefe aus dem Diemtigtal, aus Russland und Amerika 1890–1946


Herausgeber
Museum für Kommunikation
Erschienen
Zürich 2001: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
463 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Bettina von Greyerz, bern

Mitten im Diemtigtal oberhalb von Oey, auf der Schattseite, steht ein Bauernhaus, die Walkenmatt. Sie ist der Familiensitz einer Bauernfamilie und der Dreh- und Angelpunkt eines ausführlichen Briefkontakts unter den Angehörigen der Familie um Susanne Hiltbrand-Dubach (1842–1918). Die drei Redaktoren (Susanna Reinhart-Probst, Rudolf Probst und Edwin Pfaffen) haben zahlreiche Briefe der Familie Hiltbrand-Dubach aus gut 50 Jahren lektoriert, zum Teil aus dem Russischen transkribiert und 300 davon in diesem schön gestalteten Buch vereint. Sie zeichnen damit ein naturnahes, authentisches Bild der Lebenssituation einer Bauernfamilie im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Familienmitglieder lebten weit verstreut in der Schweiz und zwei davon im Ausland: Zahlreiche Briefe wurden in Russland – wohin einer der Söhne ausgewandert war – und in den Zwanzigerjahren auch in den USA verfasst und erzählen dadurch viel über das Schicksal der ausgewanderten Schweizer.

Das Buch hat mehrere Stärken: Einerseits bringt es der Leserschaft eine heute leider fast vergessene Briefkultur zum Leben. Briefe schreiben war vor gut 100 Jahren für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit, sich über grosse Distanzen auszutauschen. So enthalten viele Briefe einfache Neuigkeiten und Klatsch der vergangenen Wochen. Aus zahlreichen Bemerkungen geht hervor, dass die Briefe aus der Fremde beispielsweise unter den Familienangehörigen im Berner Oberland weitergereicht und zum Teil sogar abgeschrieben wurden: «Lege auch ein paar Zeilen bei, damit Ihr sehen könnt, dass ich noch lebe» (S. 199) oder «Sende dir den letzten Russlandbrief, flüchtig abgeschrieben, wir hatten lange gar nicht bei Hause, er war in Thun und jetzt will ihn der Vater auch noch lesen, sonst hätte ich ihn Dir beigelegt» (S. 62).

Gleichzeitig ist die Briefsammlung ein schönes Beispiel dafür, was die in der letzten Zeit so oft zitierte Oral History leisten kann: Wer heute diese Briefe liest, erfährt sehr direkt und ungefiltert die Probleme, Sorgen und Freuden der damaligen Zeit. So schreibt beispielsweise die Tochter Rosa im Dezember 1900 an ihre Schwester: «Etwas Neues will ich Dir anzeigen, nämlich, dass es einen Gesangsverein gibt bei uns, [...] wo wir dann am nächsten Sonntag mit dem Gesang beginnen werden zur Woche einmal.» Im Weiteren zählt sie auf, wer in diesem Chor mitmacht und wie sie sich anstellen beim Singen (S. 79).

Dank des Umstandes, dass einige der jüngeren Generation ihre Heimat verlassen haben, um in Russland und später in den USA ihr Glück zu versuchen, erfahren wir einiges über die Lebensgewohnheiten und Abenteuer der Ausgewanderten. Die Briefe aus der Schweiz hingegen schildern uns Interessantes über anstehende Ernten, Heiraten, uneheliche Geburten, Feste und Bräuche, kurz das alltägliche Leben in der damaligen Zeit. Die meisten Briefe spiegeln die Lebensläufe und Schicksale der Familienangehörigen, die im überwiegenden Teil unspektakulär verlaufen. Historische Ereignisse werden nur ganz am Rande gestreift, die Briefsammlung ist somit wirklich ein Beitrag zur Alltagsgeschichte. Formal sind die Briefe nur sehr leicht überarbeitet worden, die Orthografie wurde in den allermeisten Fällen wie im Original belassen, Erklärungen in Form von Randnotizen erleichtern das Verstehen von speziellen Ausdrücken sehr, verfälschen aber gleichzeitig die Originalität der Dokumente nicht.

Im Anhang liefern zwei Artikel von Edwin Pfaffen und Rudolf Probst wissenschaftliche Grundlagen zu den historischen Gegebenheiten respektive zur Briefkultur im Allgemeinen. Rudolf Probst gibt dabei auch eine gute und kurze Zusammenfassung des Lebens der Grossfamilie Hiltbrand-Dubach. Es lohnt sich, diesen Artikel als Einstiegslektüre zu den Briefen zu wählen. Ein Personenverzeichnis mit Stammbaum sowie ein Glossar mundartlicher Wendungen und Fachausdrücke bilden weitere Lesehilfen.

Zitierweise:
Bettina von Greyerz: Rezension zu: Museum für Kommunikation (Hrsg.): Walkenmatt. Briefe aus dem Diemtigtal, aus Russland und Amerika 1890–1946, Zürich, Chronos, 2001 (Schriftenreihe des Museums für Kommunikation), 463 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 211f.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 211f.

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